Ein Gläschen Mut
(Colorado Love #2)
Leseprobe
Prolog
Obwohl ein Sonnenuntergang im Canyonlands National Park eines der spektakulärsten Dinge war, die Elli je hatte erleben dürfen, rannen ihr stumme Tränen über die Wangen. Leise fluchend wischte sie sich grob übers Gesicht, doch es half nichts. Es folgten immer neue, blieben an ihrem Kinn hängen und tropften schließlich auf das Blatt Papier, das sie fest mit der anderen Hand umklammert hielt. So fest, dass es völlig zerknitterte, aber das war es ohnehin schon. In den vergangenen sieben Monaten hatte sie den Brief so oft auseinander- und wieder zusammengefaltet, dass sie ihn zwischendurch mit Tesafilm hatte zusammenkleben müssen. Dabei kannte sie den Inhalt längst auswendig.
Meine liebste Elli,
ich bin mir nicht sicher, wie man einen solchen Brief anfängt und bitte glaube mir, wenn ich dir versichere, dass mir das hier keineswegs leichtfällt.
Du bist jetzt erwachsen, Kleines und die Erinnerung an glücklichere Zeiten, die du und dein Bruder mir jedes Mal vor Augen haltet, kann ich im Augenblick nicht ertragen. Du und Cash, ihr braucht euren alten Herrn nicht mehr und manchmal muss man das tun, was das Beste für sich selbst ist. Denn auch, wenn man Kinder bekommen hat und Vater geworden ist, ist man dennoch ein Mensch, der für sich selbst sorgen muss. Denn ich habe niemanden mehr, der auf mich aufpasst. Nicht so, wie du und dein Bruder einander und eure Mutter habt und auch mich trotz aller Entfernung haben werdet.
Bitte denke nicht schlecht von mir. Ich werde dich und Cash immer lieben und wenn ihr mich braucht, werde ich immer da sein, aber fürs Erste brauche ich etwas Abstand von eurer Mutter. Du bist alt genug, um zu wissen, dass Beziehungen nicht immer perfekt verlaufen und nicht jeder sein Happy End bekommt.
Wir werden uns wiedersehen, mein Liebling.
Auf bald,
dein dich liebender Vater.
Ein weiterer Schluchzer durchbrach die abendliche Stille. Tatsächlich verstand Elli nicht, wie es sein konnte, dass sie überhaupt noch Tränen übrighatte.
Es war nicht nur, dass sie ihn vermisste. Die Vorstellung, zuhause in Kingsgate zu sein und nicht die Möglichkeit zu haben, ihrem Vater bei der Arbeit zuzusehen oder mit ihm sprechen zu können, wann immer sie wollte, hatte sie nicht ertragen, weshalb sie vor sieben Monaten Hals über Kopf aus Kingsgate mit einem alten Van geflüchtet war. Der große Knall zwischen ihren Eltern war derart unerwartet und heftig gekommen, dass es ihr völlig den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. So überfordert, wie sie mit der ganzen Situation gewesen war, musste sie einfach raus. Und hier, in der Abgeschiedenheit des Canyonlands National Park konnte sie glücklicherweise niemand sehen. Genauso wenig wie auf ihrer durchgelegenen Matratze in ihrem schrottreifen Minivan namens Oscar. Oscar aus der Mülltonne, wenn man ihre Freundin Zoey fragte; nur Oscar, wenn man Elli fragte.
Dabei sah der Wagen gar nicht so schlimm aus. Okay, mit einem Neuwagen konnte man ihn schon lange nicht mehr vergleichen, aber den Anspruch hatte Elli nie gehabt. Außerdem hatte der Wagen ihrem Vater gehört.
Bei dem Gedanken an ihn kullerte wieder eine Träne über ihre Wange und sie holte zitternd Luft. Sie musste sich dringend zusammenreißen. Mittlerweile konnte sie sich selbst kaum noch leiden. Vermutlich war es Zeit für einen Ortswechsel. Dann würde sie sich bestimmt besser fühlen und könnte endlich …
Ihr Handy vibrierte lautstark auf der Arbeitsplatte im Van hinter ihr und zog sie damit unsanft zurück in die Gegenwart. Vermutlich war es nur die allabendliche Nachricht von Bastian. Obwohl sie ihm nie antwortete, schickte er ihr jeden Abend, wenn er mit seiner Arbeit als Tierarzt fertig war, eine kurze Nachricht, fragte, wie es ihr ging, was sie machte, interessierte sich für sie.
Jeder andere Mann hätte längst aufgegeben, doch ihr bester Freund war hartnäckig geblieben. Auch wenn sie vermutlich einiges zu hören bekommen würde, wenn sie zurück nach Kingsgate käme. Falls sie zurückkam. So sicher war sie sich da nämlich noch nicht.
Anstatt nach kurzem Vibrieren Ruhe zu geben, fing ihr Handy nach ein paar Sekunden wieder von vorne an. Irritiert warf Elli einen Blick über die Schulter ins Innere des Vans. Es vibrierte ein drittes Mal und sie erhob sich seufzend. Vielleicht war es doch etwas Wichtiges.
Den Brief ihres Vaters faltete sie sorgfältig zusammen und legte ihn in eine Schublade, ehe sie nach ihrem Handy griff, das gerade erneut vibrierte. Auf dem erleuchteten Display sah sie, dass mittlerweile fünf Nachrichten ihres Bruders eingegangen waren.
Stirnrunzelnd öffnete sie den Chatverlauf und fing an zu lesen.
Cash:
Irgendeine Ahnung, wann du wieder nach Hause kommst?
Wenn nicht, dann solltest du dir vielleicht mal Gedanken machen.
Mom ist krank.
Es sieht ernst aus.
Du solltest nach Hause kommen, Elli.
Fuck. Ihr Magen zog sich zu einem unangenehmen Knoten zusammen, während sie auf die Nachrichten ihres Bruders starrte.
Und einerseits war der Gedanke, nach Hause zu fahren so beängstigend, dass sie am liebsten so schnell wie möglich in die entgegengesetzte Richtung gefahren wäre, andererseits wusste sie nicht, ob sich das in allzu naher Zukunft ändern würde. Aber auch, wenn sie und ihre Mutter nicht gerade freundlich auseinandergegangen waren, so war sie immer noch ihre Mom und Cash hatte recht. Sie sollte wohl wirklich nach Hause kommen. Auch, wenn sie keine Ahnung hatte, ob es die richtige Entscheidung war oder nicht.
Gerade wollte Elli ihr Handy beiseitelegen und sich auf die Abreise vorbereiten, da vibrierte es erneut in ihrer Hand. Diesmal zauberte ihr der Absender unwillkürlich ein Lächeln auf die Lippen.
Bastian:
Fertig für heute. Da war ernsthaft ein Typ mit einem Hund namens Jafeini. Meinte, seine Freundin hätte ihn als Welpen so oft so genannt, dass er mittlerweile auf nichts anderes hört. Tierbesitzer sind ganz schön verrückt. Wie war dein Tag? Ich hoffe, du hast dir von irgendwo hoch oben den Sonnenuntergang angesehen.
Wieder spürte Elli, wie ihr Tränen in den Augen brannten, doch diesmal nicht aus Traurigkeit, sondern vor Rührung und Sehnsucht. Dieser Mann kannte sie so gut. Seine Nachricht war genau zur richtigen Zeit gekommen und erinnerte sie daran, dass Kingsgate trotz der schlechten Erinnerungen in der letzten Zeit auch sehr viele wunderbare Dinge für sie bereithielt.
Ihr bester Freund war eins davon.
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Folgt
»Alles gut.«
Zwei Worte, die in Bastian Queens Sprachgebrauch wohl am häufigsten vorkommen. Aber einmal im Monat braucht er eine Auszeit. Da er die in Kingsgate, wo ihn jeder kennt, unmöglich bekommen kann, fährt er regelmäßig in einen der Nachbarorte.
Bei einem dieser Ausflüge trifft er ausgerechnet auf Elli.
Elli, die in den letzten Monaten wie vom Erdboden verschwunden war, und nun unerwartet auf dem Heimweg ist.
Elli, die immer nur seine beste Freundin und gleichzeitig so viel mehr war.
Für eine Nacht erlaubt Bastian es sich, alle Schranken fallen zu lassen. Aber Gefühle verschwinden nun mal nicht einfach bei Morgengrauen und bald muss er feststellen, dass eben nicht mehr alles gut ist.