City Affairs: Noah

Leseprobe

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Kapitel 0.1 - Teresa

 

»Ein Vanilla Latte mit extra Shot für Tessa!«, schallte die Stimme des Baristas und ich verzog gequält das Gesicht. Eine Korrektur meines Namens sparte ich mir, während ich mich aus der einen Ecke des Starbucks durch die Menge wartender Kunden hindurch zur Theke kämpfte. Es hatte ohnehin keinen Zweck. Obwohl ich nicht zum ersten Mal hier meinen Kaffee kaufte, schienen sie es nicht zu schaffen, meinen Namen richtig aufzuschreiben, geschweige denn auszusprechen. Aber es war ein Starbucks und meiner Erfahrung nach war ich hier nicht die Einzige, deren Namen falsch aufgeschrieben oder ausgesprochen wurde. 

Die bleischwere Müdigkeit in meinen Knochen war nur ein weiterer Grund, warum ich den Mann hinter dem Tresen nicht auf seinen Fehler aufmerksam machte. Ich brauchte diesen Kaffee zu dringend, als dass ich mir Zeit für irgendwelche fruchtlosen Diskussionen nehmen konnte. Abgesehen davon war dieser Kaffee ein so seltener Luxus, dass ich ihn mir von nichts und niemandem vermiesen lassen würde.

Als ich mich endlich zum Tresen durchgeschlagen hatte, griff ich erleichtert mit einer Hand nach dem dampfenden Becher und nahm mir mit der anderen einen Deckel. Doch bevor ich ihn auf dem Getränk platzieren konnte, stieß jemand heftig gegen mich. Der Kaffee schwappte aus dem Becher und besudelte nicht nur die Theke, sondern auch einen Großteil meiner Bluse. Wie erstarrt stand ich da und blickte geschockt auf die hellbraunen Flecken auf dem weißen Seidenstoff meines Oberteils. Erst, als die Stimme des Übeltäters neben mir erklang, erwachte ich aus meiner Starre. 

»Kaffee, schwarz, mit einem Extra Shot.« 

»Kommt sofort, Sir.« 

»He«, protestierte ich, doch meine viel zu zaghafte Stimme ging in dem Geplapper der anderen Kunden und dem lauten Brummen der Kaffeemaschine unter. Mich und mein beflecktes Oberteil beachtete niemand, worüber ich froh sein müsste. Stattdessen spürte ich die altbekannte Frustration in mir aufsteigen, die immer dann zutage trat, wenn jemand mich übersah, meinen Namen falsch nannte oder mich schlichtweg vergaß. Leider passierte das viel zu häufig. 

Ich warf einen deprimierten Blick in meinen Kaffeebecher, der mit gutem Willen noch als halb voll zu bezeichnen war. Ich überlegte, ob es die Energie wert war, erneut zu protestieren und auf einen neuen Kaffee zu bestehen. Mein Blick fiel automatisch auf den Mann, der sich an mir vorbeigedrängt hatte. Es war nicht unüblich, in diesem Teil von London, dem Herzstück, inmitten von riesigen Wolkenkratzern, in denen größtenteils Banken, Investment- und Immobilienunternehmen ansässig waren, schicke Anzugträger zu sehen. Morgens fand man viele von ihnen in diesem Starbucks, die sich ihren täglichen Koffeinschub holten. Doch dieser hier schien … anders zu sein. Ich konnte den Finger nicht darauf legen, was ihn von den üblichen Typen in ihren schwarzen Anzügen, der Rolex am Arm und ihren riesigen schwarzen Aktentaschen in der Hand unterschied. Sein Nadelstreifen-Anzug wirkte auf mich ebenso teuer und maßgeschneidert wie die der meisten anderen. Seine hellbraunen Haare waren zwar akkurat geschnitten, saßen aber nicht perfekt. So, als wäre er an diesem Morgen ein paar Mal mit den Fingern hindurch gefahren. Seine markante Kinnlinie war von einem Drei-Tage-Bart bedeckt, der ihn rauer wirken ließ. Er war etwa einen Kopf größer als ich in meinen Pumps und ich schätzte ihn auf etwa einen Meter achtzig. Von der Stelle an der Theke, an der ich stand, konnte ich nur sein Profil sehen, doch zwischen den scharfgeschnittenen Wangenknochen und den Augen waren deutlich dunkle Ringe zu erkennen. Er schien den Kaffee mindestens genauso dringend zu brauchen wie ich, weshalb ich abrupt beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen und den Laden zu verlassen. Ein halber Becher Kaffee war besser als gar kein Kaffee. 

 

***

 

Obwohl mir das attraktive, aber unverkennbar müde Gesicht des Fremden eine ganze Weile nicht aus dem Kopf ging, hatte ich es geschafft, spätestens nach dem Mittagessen nicht mehr an ihn zu denken. Dafür war zu viel zu tun. Als ich die Kinder meiner Nachbarin Jocelyn aus dem Kindergarten abholte, hatte ich definitiv andere Sorgen. 

»Schau nach vorne, Laurie«, ermahnte ich die Fünfjährige, während ich ihrer ein Jahr jüngeren Schwester Maisie den Rucksack abnahm, den sie wie ein Lasso herumschwang. Laurie, ein blondes Mädchen mit drei Pferdeschwänzen, warf mir einen flehenden Blick zu und blieb stehen. 

»Tessi, dürfen wir bitte, bitte Eiscreme haben?«, fragte sie und Maisie nickte bekräftigend, ihre eigenen Haare flogen wild um ihr Gesicht herum. Als ich nach ihren Haargummis gefragt hatte, die zweifellos am Morgen in ihrem Haar gesteckt hatten, hatte das Mädchen nur mit den Schultern gezuckt und von irgendeiner Rakete geplappert. 

»Ja, Eiscreme!«, rief Maisie nun zustimmend. 

»Bitte, bitte, Miss T, es ist so warm heute!« 

Seufzend sah ich mich nach dem kleinen Eisstand um, der an der Straßenecke stand und die Mädchen in ihren Bann gezogen hatte, kaum dass wir in Sichtweite gewesen waren. »Na schön«, gab ich mich geschlagen. »Aber nur eine Kugel.«

»Yippie!« Begeistert riss sich Laurie von meiner Hand los und stürzte zusammen mit ihrer Schwester quer über den überfüllten Bürgersteig. 

»Wartet!« Stöhnend bahnte ich mir zum zweiten Mal an diesem Tag einen Weg durch eine Menschenmenge und versuchte dabei verzweifelt, die beiden Mädchen nicht aus den Augen zu lassen. Als ich bei dem kompakten roten Stand ankam, redete Laurie bereits mit dem Verkäufer. 

»… Ist mein Lieblingseis, aber ich mag auch Erdbeere und Vanille und Mango«, zählte sie auf. 

»Und Joghurt und Cookies und Schlümpfe!«, ergänzte Maisie die Aufzählung ihrer großen Schwester. 

»Genau!« 

Der Verkäufer, ein gutmütiger älterer Herr mit schütterem Haar, lächelte auf die beiden herab. »Und was möchtet ihr heute für ein Eis haben?«, fragte er freundlich. 

»Jeder eine Kugel«, erinnerte ich die Schwestern hastig, als sie gerade den Mund öffneten. An ihren begeisterten Mienen konnte ich ablesen, dass sie sich am liebsten einmal durch das ganze Sortiment gefuttert hätten. Der altmodische Eiswagen des Mannes war ein Handkarren mit zwei großen roten Rädern auf der einen Seite und zwei Griffen auf der anderen. Darüber war ein kleiner rot-weiß gestreifter Baldachin zum Schutz gegen das direkte Sonnenlicht gespannt. Unter dem Karren war vermutlich ein Kühlakku installiert worden, anders konnte ich mir nicht vorstellen, wie das Eis die spätsommerliche Wärme überlebte. Mitten in der Stadt mochte es zwar nicht brütend heiß werden, doch die Temperaturen waren bei direktem Sonneneinfall nicht zu unterschätzen. 

»Schokolade«, entschied sich Laurie für ihre Lieblingssorte. 

»Ich mag Mango«, sagte Maisie. »Und du?«

»Ich nehme auch Schokolade«, sagte ich zu dem Eisverkäufer, der nickte und die Waffeln vorbereitete. Nach diesem Tag hatte ich mir eine Portion Zucker verdient. Nachdem ich bezahlt hatte und die Mädchen zufrieden an ihrer Eiscreme leckten, machten wir uns endlich auf den Heimweg. Am späten Nachmittag waren Londons Straßen voller Menschen, daher kamen wir nur langsam voran. Immer wieder musste ich die übereifrigen Kinder ermahnen, langsam zu gehen und kam dabei kaum dazu, mein eigenes Eis zu essen. 

In einer Großstadt wie London, an der die Menschen an allen Ecken und Enden das taten, was ihnen gerade in den Sinn kam, war es schwierig, Kindern beizubringen, was sie tun und nicht tun durften, fand ich. Das war vor allem dann eine Herausforderung, wenn es um das Überqueren von Straßen ging. Es war jedes Mal ein Kampf, Laurie und Maisie dazu zu bringen, stehenzubleiben, wenn wir an einer roten Ampel standen, weil jeder andere loslief, sobald die Straße auch nur ansatzweise frei von Autos war. 

Aber der Gedanke, dass die Vier- und Fünfjährige sich dieses Verhalten angewöhnten und in wenigen Jahren, sobald sie allein unterwegs waren, selbst blindlings bei Rot über die Straße liefen, verursachte mir Übelkeit. Daher achtete ich peinlich genau darauf, jedes Mal stehen zu bleiben.

Wir hatten gerade an einer weiteren Kreuzung angehalten und ich versuchte irgendwie, zwei zappelnde Kinder sowie meine Eiswaffel festzuhalten, als ich einen Stoß in meinem Rücken spürte. Aus den Augenwinkeln sah ich einen Schatten an mir vorbeieilen und Maisie musste einen Schritt auf die Straße machen, um auszuweichen. Das Adrenalin schoss mir durch die Adern. Um zu verhindern, dass das Mädchen die Chance nutzte und über die Straße lief, musste ich zwangsläufig mein Eis fallen lassen und sie am Kragen packen. 

»Hiergeblieben«, fuhr ich sie schärfer als beabsichtigt an. Mein Herz raste von dem Schreck und ich hörte das Blut in meinem Kopf rauschen. Die klebrige Masse auf meinem Oberteil, wo der Großteil meines Schokoladeneises natürlich gelandet war, bemerkte ich kaum, so aufgebracht war ich.

»Ich wollte nicht weglaufen«, beschwerte sich Maisie, ließ sich aber bereitwillig an meine Seite ziehen. Mit vor Angst zitternden Händen sah ich demjenigen hinterher, der mich so rüde angerempelt hatte. Die vage vertraute Gestalt eines Mannes im Anzug überquerte in diesem Moment mit gehetzten Bewegungen die Straße, ohne darauf zu achten, dass mehrere Autos seinetwegen scharf abbremsen mussten. Er hielt ein Handy am Ohr und machte ausladende Gesten mit der anderen Hand, während er mit der Person am anderen Ende offenbar einen heftigen Streit austrug. Erst, als er auf der anderen Straßenseite angekommen war und sich nach rechts wandte, sodass ich sein Profil sehen konnte, erkannte ich ihn als den Mann, der mir bereits ein Oberteil an diesem Tag ruiniert hatte. 

»Arschloch«, murrte ich ungehalten und vergaß dabei völlig die beiden Kinder in Hörweite. 

»Was is’ ein ›Aschloch‹?«, fragte Maisie prompt und ich stöhnte. Ihre Mutter würde mich umbringen. 

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»Lass uns unsere Träume zum Leben erwecken.«

Teresas Leben ist unspektakulär, geradezu langweilig. Wenn sie nicht als Assistentin in der Rechnungsabteilung arbeitet, geht sie mehreren Nebenjobs nach, um ihre Schwester mit deren Arztkosten zu unterstützen. Ihren Traum von einem eigenen Modeladen hat sie bereits vor Jahren aufgegeben.

Die Eintönigkeit hat ein Ende, als ihr unerwartet der Sohn des CEOs als Hospitant zugewiesen wird. Noah Maxwell ist extrovertiert (man nennt es auch aufdringlich), humorvoll (wohl eher albern) und verflucht gut aussehend (eher … ja, okay, das stimmt). Und er bringt sie dazu, wieder an Träume zu glauben.

Doch dann wird sie nach einer gemeinsamen Nacht mit Noah wie aus dem Nichts gekündigt und er ist nicht mehr auffindbar. Hat sie ihr Vertrauen in die falsche Person gesetzt?