Times And Times

(Times of Love #3)

Leseprobe

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Kapitel 1

 

Mit angehaltenem Atem starrte ich auf die Szene, die sich vor mir ausbreitete, unfähig, auch nur einen Ton zu sagen. 

»Melli!« Meine Schwester erhob sich und kam, so schnell sie mit ihrem hinkenden Bein konnte, zu mir gelaufen, um mir um den Hals zu fallen. Ich beschwor meine Arme, die Umarmung zu erwidern, doch meine Muskeln gehorchten mir nicht. Stocksteif stand ich da, die Augen fest auf ihn gerichtet. 

Finn blickte zurück. In seinem Gesicht waren die verschiedensten Gefühlsregungen zu erkennen, doch ich hätte nicht sagen können, welche überwog. Freude? Schmerz? Ich wusste es nicht. Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich das Gefühl hatte, absolut fehl am Platz zu sein. Ich hatte den Schlüssel der alten Dame aus dem Erdgeschoss nur angenommen, weil ich so unbedingt meine Schwester sehen wollte, doch nun bereute ich es. Dabei war dieser Beschluss nur eine von vielen übereilten Entscheidungen gewesen, die ich in den letzten 48 Stunden getroffen hatte und die mich schlussendlich hierhergeführt hatten. Mein Leben, das auch zuvor nie besonders entspannt oder ruhig abgelaufen war, hatte innerhalb weniger Stunden eine 180 Grad Wendung genommen und sich von ›ein wenig abenteuerlich‹ zu ›absolut chaotisch‹ gewandelt. 

Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre aus der Wohnung gestürmt. Hätte meine Sachen genommen und mich in das nächstbeste Flugzeug gesetzt. Ganz egal wohin. Alles erschien mir besser als das hier. 

Da mein Blick noch immer auf Finn gerichtet war, spürte ich mehr als ich sah, wie mein Zwilling sich von mir löste. 

»Ich wusste nicht, dass du heute schon kommst, sonst hätte ich dich doch vom Flughafen abgeholt!« Ihr vorwurfsvoller Ton durchdrang den Nebel, der sich in meinem Kopf ausgebreitet hatte und endlich schaffte ich es, mich auf sie zu konzentrieren. 

»Ich wollte dich überraschen.« Und war mir das nicht gelungen? Aber es stellte sich die Frage, wer am Ende die größere Überraschung erlebt hatte - sie oder ich. Majas Züge wurden bei meinen Worten weicher und das altbekannte Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. 

»Das ist dir gelungen!« Sie drehte sich zu den anderen um, die seit meinem Eintreffen noch kein Wort gesagt hatten, nun jedoch einer nach dem anderen aufstanden und zu mir kamen. Obwohl ich inzwischen schon mehrere Videoanrufe mit den Freundinnen meiner Schwester gemacht hatte, war es nochmal etwas ganz anderes, die beiden nun vor mir stehen zu sehen. Ivys kupferrotes Haar war noch strahlender, als es auf dem Bildschirm gewirkt hatte und Bee, die vor Selbstbewusstsein nur so zu strotzen schien, wirkte derart einschüchternd, dass ich beinahe einen Schritt zurückmachte. Beinahe. Im letzten Moment erinnerte ich mich daran, wer ich war und dass ich in den letzten Jahren wohl mehr als genug Situationen hinter mich gebracht hatte, die mein Selbstbewusstsein gestärkt hatten. Ich kannte die beiden. Es war nicht so, als würde ich einem wilden Krokodil ins Auge sehen. Das war mir vor ein paar Monaten in Brasilien passiert, und ich hatte auch das überlebt. 

»Schön, euch endlich persönlich zu treffen«, zwang ich mich zu sagen und bog mit viel Mühe meine Lippen zu einem möglichst echten Lächeln. Es war die Wahrheit. Ich freute mich wirklich, die beiden zu treffen. Nur der Zeitpunkt war denkbar mies gewählt. 

Ich wusste nicht, ob Ivy und Bee meine Unsicherheit bemerkten und sie aus Rücksicht ignorierten, oder ob ich inzwischen eine so gute Schauspielerin geworden war, dass man mir nichts anmerkte, aber sie hießen mich freundlich willkommen. Nach Ivy und Bee begrüßten mich auch die Jungs. Raphael und Maxi traten als erstes vor und klopften mir kumpelhaft auf die Schulter, bevor Dylan sich an ihnen vorbeidrängte und mich unerwartet in den Arm nahm. 

»He!«, protestierte ich und strampelte wenig elegant mit den Beinen, weil er mich ein paar Zentimeter hochgehoben hatte. »Lass mich los, du Idiot.« Es war nur halb im Scherz gemeint. Nachdem Dylan und meine Schwester seit Kindesbeinen aneinandergeklebt hatten, waren wir praktisch zusammen aufgewachsen, doch im Gegensatz zu Maja war ich nie mit ihm warm geworden. Als Maja und ich noch klein gewesen waren und die beiden sich noch nicht wie siamesische Zwillinge verhalten hatten, machten wir uns einen Spaß daraus, ihm und seinem damaligen besten Freund die großartigsten Streiche zu spielen. Das ging so lange, bis Maja urplötzlich mit Dylan im Schlepptau bei uns zu Hause auftauchte und die beiden von heute auf morgen zum Dream Team Nummer eins mutierten. Sie hatte mir nie erzählen wollen, was damals der Auslöser gewesen war, aber es endete damit, dass ich ihm keine Streiche mehr spielen durfte und stattdessen nett zu ihm sein musste. Das hatte nur bedingt funktioniert, aber mit den Jahren hatten wir uns zumindest halbwegs aneinander gewöhnt. Umso mehr irritierte mich seine Umarmung nun.

»Gut, dass du wieder hier bist«, raunte er in mein Ohr, bevor er mich endlich wieder absetzte. Ich warf ihm einen misstrauischen Blick zu, während ich mein T-Shirt glattstrich. Dann konnte ich nicht anders, als wieder zu Finn zu sehen, der noch immer auf dem riesigen roten Sofa saß, das den Raum dominierte. Obwohl er mich ebenfalls ansah, machte er keine Anstalten, aufzustehen und mich zu begrüßen. Vermutlich war das besser so. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihm hätte sagen sollen. 

Maja rettete mich davor, direkt die Flucht anzutreten. »Bist du wegen der Hochzeit hier? Ich wollte dich noch anrufen, aber die letzten paar Male, als ich es probiert habe, bist du nicht ans Telefon gegangen, deshalb hab’ ich dir aufs Band gesprochen. Ich hatte schon Angst gehabt, du hättest deine Mailbox wieder nicht abgehört!« Sie grinste und kurzzeitig überwog das schlechte Gewissen in mir den Schmerz. Ich hatte nämlich keineswegs meine Mailbox abgehört. Zwar hatte Maja mir von der Hochzeit ihrer Freunde Patrick und Lucy erzählt, aber ich hatte keine Ahnung gehabt, dass sich diese mit meinem ungewollten Urlaub zuhause überschneiden würde. Was für ein beschissen perfektes Timing.

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Welches Glück birgt der Topf am Ende des Regenbogens für dich?

Als Melli zurück nach Old Delbrook kommt, steht für sie fest, dass dieser Aufenthalt befristet ist. ›Je kürzer, desto besser‹ ist ihre Devise, denn ihre Heimatstadt birgt viele schlechte Erinnerungen.

Doch dann stellen ihre Eltern ihr plötzlich ein Ultimatum, anstatt ihr wie erhofft, das Geld für ihre nächste Work and Travel-Reise zu geben. Nur deshalb lässt sie sich auf den Auftrag ihrer Schwester ein, die Hochzeitsreise eines befreundeten Paares zu dokumentieren.

Dass sie sich währenddessen mit Teilen ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss, die sie gern vergessen hätte, war so nicht geplant.
Als Mellis Ex-Freund Finn ihr während des Urlaubs gefährlich nahe kommt, muss sie sich entscheiden. Weglaufen, wie seit Jahren - oder endlich die größte Hürde überwinden, die ihr im Weg steht: Sie selbst.