Worst of You - Gefesselt
(Worst of #1)
Leseprobe
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Es war ein großartiger Tag. Um fair zu sein: In Logan Alexander Kings Leben war so ziemlich jeder Tag großartig. Immerhin hatte er einen tollen Job, den er liebte, eine teure Wohnung in der Londoner Innenstadt und war beliebt bei den Frauen. Was gab es daran auszusetzen?
Dieser Tag war genau wie jeder andere. Er begann damit, dass er sich nicht wie die meisten Menschen aus dem Bett quälte, sondern erfrischt aufsprang, sich seine Sportkleidung überzog und in das Fitnessstudio ein paar Stockwerke über seiner Wohnung marschierte. Dort traf er sich mit seinem älteren Bruder Matthew, um wie immer vor der Arbeit sein tägliches Workout zu absolvieren. Das geschah schweigend, denn Matt hasste Geplapper am Morgen.
Nach einer ausgiebigen Runde auf dem Laufband sowie einigen Runden Gewichte heben gingen sie zurück in ihre jeweiligen Wohnungen und Logan begann, sich für den Tag fertig zu machen. In seinem Schrank befanden sich fast zwei Dutzend Anzüge in den unterschiedlichsten Farbschattierungen. Angefangen bei einem dunklen Anthrazit über ein tiefes Mitternachtsblau bis hin zu einem dunklen Burgunderrot, das er allerdings nur selten trug. Es waren beinahe alle Farben in seinem Kleiderschrank zu finden - außer Schwarz. Da er Schwarz immer mit Beerdigungen und dem Tod assoziierte, vermied er die Farbe, wo er nur konnte. Stattdessen hatte er sich mit sich selbst auf ein Anthrazit geeinigt, das man nur bei genauem Hinsehen als solches erkannte. Schließlich musste er bei Gelegenheiten, die Smokings verlangten, dem Dresscode entsprechen.
Für diesen Tag wählte er einen dunkelblauen Anzug mitsamt schiefergrauer Krawatte und einem blütenweißen Hemd, das seine Haushälterin am Tag zuvor aus der Reinigung geholt hatte. Eine silberne Rolex und die Sonnenbrille von Ray Ban, die er in Londoner Innenstadt zwar nicht brauchte, aber die er trotzdem abgöttisch liebte, vollendeten das Outfit.
Da sein Fahrer seinen Tagesplan genau kannte, erwartete dieser ihn bereits vor dem Haus. Logan brauchte sich lediglich auf den Rücksitz des schwarzen Mercedes zu setzen, bevor der Wagen losfuhr. Wie immer wartete dort auf ihn ein Edelstahlbecher mit Tee und er nippte daran, während er begann, seine E-Mails durchzusehen.
»Uninteressant ... schon erledigt ... ganz bestimmt nicht ... vielleicht nächstes Jahr ...«, murmelte er, während er die Nachrichten systematisch abarbeitete und eine nach der anderen entweder löschte oder mit einer knappen Antwort an seinen Chef weiterleitete. Der Chauffeur, der es gewohnt war, dass Logan während der Fahrt mit sich selbst sprach, wusste es inzwischen besser, als sich angesprochen zu fühlen.
Vierzig Minuten später - der morgendliche Berufsverkehr war wie immer katastrophal - parkte der Wagen vor einem der vielen Hochhäuser in der Nähe des Hyde Parks. Logan stellte seinen leeren Becher zurück in die Halterung, stieg ohne ein Wort aus und strich seinen Anzug glatt, bevor er mit einem kurzen Nicken in Richtung des Sicherheitspersonals das Gebäude betrat.
Advised hatte das vierzehnte bis siebzehnte Stockwerk gemietet. Sobald er seinen Dienstausweis gegen das Lesegerät gehalten hatte und sich die Türen des rechten Aufzugs öffneten, drückte Logan, als Referent des Vorstandsvorsitzenden, den Knopf für den siebzehnten Stock. Neben ihm stiegen noch andere Menschen ein, doch er beachtete sie nicht. Stattdessen sah er weiterhin auf sein Handy und arbeitete die bereits eintreffenden Nachrichten ab.
Nachdem die letzte Person den Aufzug im neunten Stock verlassen hatte, blieb Logan allein zurück und genoss die kurze Atempause, bevor es bald mit Meetings und Aufträgen losgehen würde. Er kam morgens gern früher zur Arbeit, um bereits auf den Tag vorbereitet zu sein. Logan war der Beste in seinem Job und wollte es auch bleiben.
Sein mahagonifarbener Schreibtisch stand am Fenster eines großzügigen Büros, das beinahe vollständig von Glaswänden umgeben war. Nicht unbedingt optimal, aber so konnte er zumindest gleich sehen, wenn sich ihm jemand näherte. Es gab genau zwei Türen - eine, die vom Flur aus hineinführte und eine zweite, durch die man ins Büro seines Chefs gelangte. Bis auf den Schreibtisch, der penibel aufgeräumt wie eh und je war, und einem schmalen Einbauschrank an einer Wand, war der Raum leer. Im Flur gab es eine Ledercouch, zu der er Gäste seines Chefs schickte, doch er mochte den Minimalismus seines Büros. Er hatte nichts für Pflanzen, die bei ihm ohnehin immer verdorrten, weil er vergaß, sie zu gießen, oder Deko-Schnickschnack, der nur einstaubte, übrig. Stattdessen mochte er glatte, ordentliche Flächen, die ihm zu einem strukturierten Denken verhalfen.
Bevor er sich an seinen Schreibtisch setzte, machte er noch einen Abstecher in die Teeküche, um sich mit einer frischen Tasse Schwarztee einzudecken. Obwohl er kein Problem damit hatte, früh aufzustehen, nahm er das Koffein gern und nutzte es, um vor allem in den Morgenstunden besonders produktiv zu sein. Das war auch der Grund, warum er meist vor allen anderen im Büro auftauchte. Um diese Zeit war noch niemand da, der ihn stören würde und er konnte sich ungehindert der Arbeit widmen, ohne sich der wenigen lästigen Seiten seines Jobs bewusst zu sein. Als Vorstandsreferent hatte er zwar viele fachliche Kompetenzen, aber da sein Chef darauf verzichtet hatte, eine zusätzliche Sekretärin einzustellen, fielen Aufgaben wie die Gästebetreuung und Terminvergabe in Logans Tätigkeitsbereich.
Aber Logan wäre nicht er selbst, wenn er nicht auch diese Aufgaben mit einem Perfektionismus anging, mit dem er auch den Rest seiner Arbeit erledigte. Daher ertrug er die nervtötenden E-Mails, in denen er um utopische Termine bei seinem Chef angefleht wurde - möglichst diese Woche, ach und bitte außerhalb der Randzeiten - genauso stoisch wie die Besucher, die er mit Getränken und Small Talk bei Laune hielt, bis Mr. Harrisson Zeit für sie hatte.
Ungefähr zwei Stunden nachdem Logan mit seiner Arbeit begonnen hatte, gab der Aufzug draußen auf dem Flur ein leises Ping von sich und einen Moment später erschien Mr. Harrisson in der Tür von Logans Büro. Der ältere Mann mit der bereits ergrauten Halbglatze trug wie beinahe jeden Tag einen dunkelbraunen Anzug, der ihm nicht ganz passte und dessen Hemd ihm ein wenig zu sehr um den Bauch herum spannte. Er nickte Logan freundlich zu, bevor er mit seiner - ebenfalls braunen - Aktentasche in der Hand an ihm vorbei in sein Büro schlenderte. Manchmal bewunderte Logan seinen Chef für die Ruhe, die er ausstrahlte. Er fragte sich, ob er in seiner Position ebenso entspannt wäre, doch dann erinnerte er sich daran, warum sein Chef so ruhig sein konnte - ihm war klar, dass Logan bereits die Hälfte seines Tagwerks für ihn erledigt hatte. Seit er Logan eingestellt hatte, verbrachte Albert Harrisson seine Tage fast ausschließlich mit Unterschriften auf Dokumente setzen und sich die Zusammenfassungen einprägen, die Logan vorbereitet hatte. Dasselbe galt für die Pressemitteilungen, die er vorbereitete und die Präsentationen, die er für die restlichen Mitarbeiter erstellte, um diese auf dem Laufenden zu halten, was die Großprojekte von Advised anbelangte. Harrisson konnte es sich leisten, so entspannt in den Tag hineinzuleben, weil er wusste, dass Logan da war.
Logan wartete ungefähr eine Viertelstunde, bevor er seinen in dunkelblaues Leder gebundenen Kalender nahm und seinem Chef in sein Büro folgte, um ihn über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Obwohl er ihm alle notwendigen E-Mails weiterleitete, rechnete er nicht damit, dass Harrisson sie auch im Detail lesen würde. Der Mann wusste genau, dass er im Laufe des Tages regelmäßig Updates bekommen würde, daher ahnte Logan, dass sich sein Chef inzwischen kaum noch die Mühe machte, die Mails überhaupt zu öffnen.
Nachdem er die neuesten Entwicklungen bei verschiedenen Projekten kurz zusammengefasst hatte, rieb sich Harrisson das Kinn und sah ihn über seine Lesebrille, die er gerade aufgesetzt hatte, hinweg an.
»Sie denken noch daran, dass nachher die Mitarbeiterversammlung stattfindet, nicht wahr, King?«, fragte er und Logan musste sich stark zusammenreißen, um nicht mit den Augen zu rollen.
»Selbstverständlich, Sir«, gab er seine Standardantwort zurück. Diese dämliche Versammlung interessierte ihn kein bisschen, aber aus irgendeinem Grund war sie seinem Chef so wichtig, dass er sie in den letzten Tagen ungefähr ein Dutzend Mal erwähnt und auf Logans Teilnahme bestanden hatte. Normalerweise nahm Logan nicht an dieser Art von Veranstaltungen teil, allerdings bekam er immer mehr den Eindruck, dass sein Chef irgendetwas geplant hatte, was völlig untypisch für den alten Mann war. Sein Chef ging mittlerweile auf die Siebzig zu und Logan rechnete jeden Tag damit, von ihm über die Pläne für seinen Ruhestand informiert zu werden, doch bisher hatte Harrisson keine Anstalten gemacht, seinen Platz zu räumen. Nicht, dass Logan Interesse an seiner Stelle hatte - Gott bewahre -, aber er war nun einmal gern vorbereitet und wollte wissen, wer Harrissons Nachfolger sein würde, um sich darauf einstellen zu können. Die meisten Vorgesetzten, für die er in den letzten Jahren gearbeitet hatte, waren nach einer kurzen Einarbeitungsphase angenehm leicht zu händeln gewesen und Logan wünschte sich, dass es bei Harrissons Nachfolger ebenso sein würde. Damit es allerdings dazu kam, musste er wissen, wen sein Chef dafür im Auge hatte, doch dieser schwieg zu diesem Thema beharrlich.
Die meisten Männer seines Alters und in seiner Stellung hätten vermutlich alles dafür gegeben, um noch weiter die Karriereleiter hinaufzuklettern, doch Logan war überaus zufrieden, dort, wo er war. Von seinem Platz aus konnte er mehr schalten und walten, als manch einem bewusst war und nicht wenige der Entscheidungen, die sein Chef in den letzten Jahren getroffen hatten, waren von Logan angeregt wor- den. Warum sollte er also seine Stelle wechseln, wenn er doch an diesem Platz schon alle Fäden in der Hand hielt?
»Gut«, sagte Harrisson und erinnerte ihn daran, dass er noch nicht entlassen worden war. »Bringen Sie das hier beim Empfang vorbei, das muss heute noch raus.« Er hielt Logan einen Stapel mit vertrauten Verträgen hin, die dieser ihm am Tag zuvor auf den Schreibtisch gelegt hatte.
»Selbstverständlich, Sir«, wiederholte Logan und nahm die Dokumente entgegen. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Ihr nächster Termin ist erst -«
»Nach der Versammlung, ich weiß, danke, King. Das war vorerst alles, Sie können gehen.« Harrisson machte eine wegwerfende Handbewegung und Logan nickte kurz, bevor er das Büro seines Chefs verließ. Er machte einen kleinen Umweg zu seiner Tasche, aus der er eine etwa Handteller große Rose hervorholte, die er sich an den obersten Knopf seines Hemdes steckte. Dann stieg er mit den Verträgen in den Aufzug und fuhr ins Erdgeschoss.
Dort arbeitete eine sehr hübsche, junge Dame namens Flora, auf die Logan bereits ein Auge geworfen hatte, seit sie vor zwei Wochen die Stelle als zweite Empfangsdame angetreten hatte. Da er jedoch zu einer Zeit zur Arbeit kam, zu der der Empfang noch nicht besetzt war, hatte es bisher noch nicht viele Gelegenheiten gegeben, um mit ihr zu sprechen und die Lage auszukundschaften. An diesem Tag jedoch hatte er damit gerechnet, Flora zu treffen und Vorkehrungen in Form der kleinen Rose getroffen.
Da es bereits später Vormittag war, befand sich in der Eingangshalle des Gebäudes kaum noch jemand außer dem Personal. Logan hätte es nicht gestört, wenn er ein Publikum gehabt hätte, doch aus Erfahrung wusste er, dass Frauen empfindlich reagierten, wenn man vor anderer Leute Augen versuchte mit ihnen anzubandeln, daher achtete er inzwischen auf einen etwas privateren Rahmen, wenn er sich ein neues Date an Land zog.
Mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen ging er geradewegs auf den Empfangstresen zu, hinter dem Flora zusammen mit einer älteren Kollegin, Sandra irgendwas, saß, die vielleicht Anfang vierzig war. Logan hatte es sich während seiner Anfangszeit bei Advised zur Aufgabe gemacht, alle wichtigen Personen im gesamten Gebäude mit Namen zu kennen und inzwischen wusste er eher die Vor- als die Nachnamen. Er ging ab und zu mit dem Gebäudemanager etwas trinken, fragte die Putzfrauen in den strategisch wichtigen Stockwerken nach deren Familien und brachte den Empfangsdamen manchmal, wenn er später dran war als gewöhnlich, Tee oder Kaffee mit. Dementsprechend bekam er von Sandra ein strahlendes Lächeln geschenkt, als er näherkam.
»Sandra, wie geht es dir?«, fragte Logan schmeichelnd, als er bei den Damen ankam und sich entspannt gegen den Tresen lehnte.
»Wunderbar, und Ihnen, Mr. King?«, hauchte Sandra, woraufhin Logan den Kopf schüttelte.»Logan, bitte, das hatten wir doch schon.« Sandra nickte und biss sich verlegen auf die Lippen. Wieder warf Logan ihr ein strahlendes Lächeln zu, woraufhin sich die beginnende Röte auf ihren Wangen noch vertiefte. Dann wandte er sich Flora zu, die ihn, wie er zufrieden feststellte, bereits mit großen, bewundernden Augen anstarrte. Er musste es zugeben, er hatte ein Faible dafür, die Unschuldigen zu korrumpieren. Logan mochte es, wenn die naiven, ahnungslosen Damen ihn anhimmelten und er ihnen kurz darauf zeigen konnte, dass sie sich den bösen Wolf ins Bett geholt hatten. Selbstverständlich hatte sich bisher noch keine von ihnen beschwert und sie waren immer auf ihre Kosten gekommen, doch hinterher hatten sie alle ein wenig von ihrer Unschuld verloren und er genoss diese Tatsache.
»Ich bin Logan. Ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt«, sagte er leise lächelnd zu Flora, deren Mund auf und wieder zuklappte, bevor sie sich räusperte.
»Ich - ich heiße Flora, Sir«, erklärte sie, doch ihr Versuch, ihre Stimme fest klingen zu lassen, scheiterte. Logan sah großzügig darüber hinweg.
»Das ist ein hübscher Name«, erwiderte er ernsthaft. »Wie passend, dass ich heute Morgen an dieser Rose vorbeigekommen bin, die jemandem heruntergefallen sein muss.« Mit einer eleganten Handbewegung zog er die Blume aus seinem Knopfloch und schob sie Flora hinters Ohr, die ihn überrascht anblickte. »Ah ja, viel besser.« Flora betastete die Blume vorsichtig, bevor sie ihm ein scheues Lächeln zuwarf, das er mit einem Zwinkern erwiderte. »Noch besser wäre natürlich ein Abendessen mit der wahren Blume.« Sandra schnaubte leise und auch Logan musste sich bemühen, um nicht zu grinsen. Zugegeben, seine Sprüche waren schon mal besser gewesen, doch Flora schien bereits jetzt dermaßen verzaubert zu sein, dass sie nur atemlos nickte.
»Wunderbar. Was halten Sie von nächstem Freitag? Neunzehn Uhr? Ich werde Ihnen einen Wagen schicken, der Sie abholt.« Nach ihrer Adresse brauchte er nicht zu fragen. Die Bereichsleiterin von HR, Elena Ludlow, schuldete ihm noch einige Gefallen. Seinem Chauffeur die Adresse der Empfangsdame zu geben, war da eine Kleinigkeit.
Erneut nickte Flora nur stumm und Logan lächelte zufrieden, bevor er eine halbe Verbeugung andeutete und anschließend leicht auf die Verträge klopfte, die er neben sich auf den Tresen gelegt hatte. »Mr. Harrisson wünscht, dass die hier heute noch rausgehen. Das ist doch kein Problem?«
»Natürlich nicht«, beeilte Sandra sich zu sagen, da Flora noch immer kein Wort rauszubringen schien. Logan hoffte, dass zumindest das sich bis zu ihrem Date gebessert hatte. So sehr er unschuldige Mädchen mochte, so wenig mochte er die Schweigsamen.
»Wunderbar. Ladies.« Er schenkte beiden noch ein letztes charmantes Lächeln, bevor er die Eingangshalle wieder verließ und mit dem Aufzug zurück in sein Büro fuhr.
Die nächsten Stunden konnte er unbehelligt arbeiten. Er hatte keine Ahnung, was Mr. Harrisson tat, aber er war nicht in seinem Büro und in seinem Kalender war er nicht als abwesend markiert, weshalb Logan mehr als eine Person am Telefon mit fadenscheinigen Ausreden abwimmeln musste.
Schlecht gelaunt, weil er es hasste, nicht zu wissen, welche Termine sein Chef wann wahrnahm, meldete er sich schließlich von seinem Computer ab und machte sich auf den Weg in das Mitarbeiterrestaurant im neunten Stock, das er zum Anlass der Mitarbeiterversammlung für Advised reserviert hatte. Obwohl er fünf Minuten vor Beginn der Versammlung eintraf, waren bereits fast alle Kollegen da und der Raum vibrierte von dem aufgeregten Getuschel.
Logan selbst hielt sich lieber im Hintergrund. Er schätzte zwar das soziale Miteinander im Büro so sehr wie jeder andere, doch irgendein Bauchgefühl warnte ihn, dass diese Versammlung anders als sonst laufen würde. Die Tatsache, dass sein Chef ihm nicht wie sonst eine Tagesordnung gegeben hatte, die er vorher per Rundmail an die restlichen Mitarbeiter verteilen sollte, war nur ein Indiz dafür.
Gemächlichen Schrittes bahnte er sich seinen Weg durch die Menge und suchte sich schließlich einen Platz an der Wand ganz vorne, direkt neben der Stelle, an der ein Pult mit einem Mikrofon aufgebaut war. Da Logan vor nicht einmal zehn Minuten noch mit einem der Medientechniker des Hauses telefoniert hatte, wusste er, dass die Technik reibungslos funktionierte. Immerhin ein Thema, um das er sich keine Gedanken machen musste.
Mr. Harrisson traf eine Minute nach dem offiziellen Beginn der Veranstaltung ein. Logan, der kaum etwas mehr hasste, als Unpünktlichkeit, knirschte bereits ungeduldig mit den Zähnen, obwohl er seinen Chef eigentlich gut genug kannte, um mit dieser Verspätung rechnen zu können. Harrisson begrüßte die anderen Mitarbeiter jovial, schüttelte Hände und klopfte auf Schultern, während er in einem, für Logans Geschmack, viel zu langsamen Tempo zum Pult ging. Als er endlich angekommen war, hielt er einen langen Moment inne, um die versammelten Menschen anzusehen und ihnen ein warmes Lächeln zu schenken.
»Meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Es freut mich außeror- dentlich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind -«
Ich wusste nicht, dass die Teilnahme optional war, schoss es Logan durch den Kopf und er biss sich fest auf die Zunge, um es nicht laut aus- zusprechen. Der scharfe Blick seines Chefs verriet ihm, dass dieser bereits mit einer Erwiderung gerechnet hatte. Als allerdings keine kam, sprach er ungerührt weiter.
»- und sich alle hier versammelt haben. Die folgenden Worte richte ich an Sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich arbeite nun seit sieben Jahren für Advised und jeder Einzelne von Ihnen ist mir ans Herz gewachsen.« Logan entging nicht, dass Harrisson zwar einen langen Blick über die Mitarbeiter schweifen ließ, dabei jedoch nicht in seine Richtung sah. »Dennoch kommt im Leben eines jeden eine Zeit, in der etwas Neues beginnt, in der man sich nach Ruhe sehnt und in der man den Alltag nur noch als anstrengend empfindet.«
Bei diesem letzten Satz musste Logan sich sehr zurückhalten, um kein sarkastisches Schnauben auszustoßen. Was an Harrissons Alltag war bitte schön anstrengend? Sich Sachen vorbeten lassen und ein paar Unterschriften zu setzen, klang in Logans Augen eher nach einem ziemlich langweiligen Urlaub. Doch er riss sich zusammen und starrte weiterhin skeptisch seinen Chef an. Langsam bekam er eine Ahnung, worauf er hinauswollte, doch er würde es nicht glauben, solange Harrisson nicht die genauen Worte ausgesprochen hatte.
»Für mich ist dieser Zeitpunkt nun gekommen und ich möchte Ihnen hiermit mitteilen, dass ich mich zu Beginn des nächsten Monats zur Ruhe setzen werde.«
»Was?!« Logan war nicht der Einzige, der schockiert reagierte. Viele der Mitarbeiter mochten seinen Chef, doch er ahnte, dass der Schock eher damit zusammenhing, dass sie es so kurzfristig erfuhren. Zumindest war das der Ursprung seines Schreckens. Seiner Wut, besser gesagt. Logan kochte vor Wut. Er hasste es, nicht vorbereitet zu sein und dermaßen ins kalte Wasser geworfen zu werden, war noch nie vorgekommen. Normalerweise wusste er immer vor allen anderen Bescheid. Er war der Hüter der Vorstandsgeheimnisse, derjenige, der alle Insiderinformationen kannte. Und nun erfuhr er eine solch gravierende Änderung erst so spät, zusammen mit allen anderen?!
Mit zusammengebissenen Zähnen wartete er mehr oder weniger geduldig ab, bis sein Chef die aufgebrachten Mitarbeiter beruhigt hatte.
»Mir ist bewusst, dass Sie viele Fragen haben, das hätte ich an Ihrer Stelle selbstverständlich auch. Lassen Sie mich einiges vorwegnehmen: Nein, es gab keinerlei Unstimmigkeiten unter den Führungskräften. Meinen Nachfolger werde ich zu entsprechender Zeit noch bekannt geben - und dieser Zeitpunkt ist nicht heute. Vorerst wird sich für Sie selbstverständlich nichts ändern. Allerdings kann ich natürlich nicht im Namen meines Nachfolgers sprechen, wie seine oder ihre Vorstellungen von etwaigen Personaländerungen aussehen. Doch ich werde ihm oder ihr natürlich ans Herz legen, dass jeder einzelne von Ihnen ein großartiger Mitarbeiter und eine Berei- cherung für dieses Unternehmen ist.« Nachdem Harrisson mit seiner Rede geendet hatte, begann er noch einige Fragen der Mitarbeiter zu beantworten, doch Logan hörte nicht weiter zu. Für ihn waren die wichtigsten Fragen beantwortet und er würde den Rest auf anderem Wege erfahren. Stattdessen bahnte er sich einen Weg durch die Menge zurück zum Ausgang und fuhr mit dem Aufzug wieder nach oben in sein Büro, wo er auf seinen Chef wartete. Als dieser beinahe eine halbe Stunde später endlich aus dem Aufzug trat, war Logan dazu übergegangen, unruhig im Raum auf und abzugehen. Harrisson blieb stehen, als er ihn bemerkte und hob eine buschige Augenbraue.
»Sie sehen aufgebracht aus, King«, stellte er fest und Logan biss so fest die Zähne zusammen, dass sein Kiefer schmerzte.
»Ich wüsste nicht, warum, Sir«, erwiderte er und konnte nicht ver- hindern, dass das letzte Wort sarkastischer klang als geplant. Harrisson seufzte und winkte ihn in sein Büro.
»Kommen Sie, bringen wir es hinter uns.« Der ältere Mann ließ sich in seinen Stuhl sinken und rückte sein gespanntes Hemd zurecht, bevor er sich Logan zuwandte. »Ich habe schon lange über meinen Rücktritt nachgedacht«, informierte er ihn geradeheraus.
»Und Ihnen ist nicht in den Sinn gekommen, mich darüber zu informieren?«
»Nein.«
Das saß.
»Ich bin Ihr Assistent, ich sollte -«
»Sie sind mein Referent«, unterbrach Harrisson ihn. »Ein sehr guter, das will ich nicht bestreiten, aber als Assistent sind Sie eine Niete. Ihr Kaffee schmeckt grauenhaft und wenn ich jedes Mal einen Pence bekommen würde, wenn einer meiner Geschäftspartner sich darüber beschwert, wie lange er auf einen Termin mit mir warten musste, wäre ich ein sehr reicher Mann. Außerdem müssen Sie nicht über jeden Gedanken von mir informiert sein, auch wenn Sie das gern wären, um damit ihre Kontrollsucht zu befriedigen.« Logan wollte widersprechen, doch sein Chef hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Sparen Sie sich den Widerspruch. In drei Wochen wird jemand anderes auf diesem Stuhl sitzen und ich empfehle Ihnen, sich zusammenzureißen.«
»Wer wird Ihr Nachfolger?«, fragte Logan nach einem Moment, als Harrisson keine Anstalten machte, weiterzusprechen.
»Das werden Sie zu entsprechender Zeit erfahren«, erwiderte der andere Mann ruhig und am liebsten wäre Logan in die Luft gegangen.
»Denken Sie nicht, ich sollte -«
»Nein, denke ich nicht.« Logan starrte seinen Chef einen langen Moment lang an, der seinen Blick geduldig erwiderte. Widerwillig musste er zugeben, dass er beeindruckt war. Er hätte Harrisson nicht zugetraut, dass er ein solches Geheimnis hinter Logans Rücken über die Bühne bringen konnte, aber offensichtlich hatte er es geschafft. Das machte die Tatsache, dass Logan immer noch keine Ahnung hatte, was - oder besser gesagt wer - ihn erwartete, nicht besser.
»Wenn das alles war ...?«
Schweigend stand Logan auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum, um sich zurück an seinen Schreibtisch zu setzen.
Er hatte sich geirrt - dieser Tag war ganz und gar nicht großartig. Er war katastrophal.
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Logan Alexander King hat alles, was er sich je gewünscht hat:
Freiheit, Kontrolle, Macht.
Das ändert sich schlagartig, als ihm Gwendolyn Lancaster als neue Chefin präsentiert wird.
Bei ihr funktionieren keine seiner üblichen Tricks; die toughe Schönheit lässt sich durch nichts einschüchtern - und schon gar nicht kontrollieren. Schließlich muss er sich eingestehen, dass er Hilfe braucht, wenn er sein geregeltes Leben zurückhaben möchte.
Gemeinsam mit seinem Bruder ersinnt er einen Plan, um sie zu vertreiben, doch dabei hat er die Rechnung ohne sein Herz gemacht ...